Freitag, 6. Mai 2016

6. Mai 2016 - Hochzeitsreise nach Masuren

Wir zogen verschiedene Ziele für unsere Hochzeitsreise in Betracht. Vielleicht nach Paris, in die Stadt der Liebe? 
Oder ganz klassisch nach Venedig?

So schnell konnten wir uns nicht einigen, jeder mit seinem Ziel vor Augen. Schließlich kam uns die Idee einen Schekel zu werfen, um die israelische Münze darüber entscheiden zu lassen, wohin die Reise gehen sollte. 
Lilie oder Zahl? 
Immerhin waren Israel und ein Kibbuz damals Land und Ort unseres Kennenlernens. 
Im Kibbuz pflückten wir Oliven, Pampelmusen, arbeiteten auf der Bananenplantage. Einmal saß ich auch in der Fabrik vor einer der großen Maschinen und entfernte Plastikreste von den kleinen gelben Flaschen, die ich später, mit Zitronensaft gefüllt, bei uns in den Regalen einer großen Lebensmittelkette wiedersah.
Wieso also die Entscheidung nach dem Ziel für die Hochzeitsreise nicht durch Werfen das Schekels herbeiführen?
Die Münze zwischen Daumen und Zeigefinger festgehalten und mit Schwung über die Schulter geworfen, die sollte die Frage beantworten. Der Schekel fiel auf den Boden und rollte geschwind unter den großen, schweren Schrank, der unverrückbar an der Wand stand. Dort blieb er, verschwunden, unauffindbar im Dunkel.
Ein neues Ziel musste her. 
Warum nicht etwas ganz anders?
Paris, Venedig, da traf man auf Schritt und Tritt ja doch nur Hochzeitspaare an. Bali, Karibik, Thailand, dort fuhren wir sowieso hin, die Länder kannten wir gut.
In Ostpreußen, da wo mein Großvater 1878 in Seesken geboren war, dort wo meine Urgroßeltern zu Hause gewesen waren, sie, die ich alle nie kennengelernt hatte, das war Masuren. Auf den Spuren meines fünfzig-fünfzig Großvaters, wie ich ihm heimlich nannte, dem unbekannten Teil meiner Familie, das schien mir das passende Ziel für die bevorstehende Hochzeitsreise zu sein. 
Großvater Karl, meine Urgroßeltern Johann und Charlotta, wer waren sie? Ein Fischer soll der Urgroßvater gewesen sein, ein Fischer mit einem eigenen Boot.
Mein Vater, Jahrgang 1900, geboren im damaligen Herzogtum Mecklenburg, der sie alle für tot erklärt hatte, trug zu seinen Lebzeiten nicht viel zur Klärung dieser Familienereignisse bei. 

Eine Hochzeitsreise nach Masuren sollte es werden, da waren wir uns überraschend schnell einig. Eine Reise auf den wenigen gesicherten Spuren von Großvater Karl aus Seesken. Der Honigmond würden uns silbern leuchten und die Vergangenheit sich mit der Gegenwart vereinen.

Wir buchten einen Flug nach Danzig, ein Hotelzimmer für zwei Tage und eine Mietwagen für die Fahrt bis an die russische Grenze und zurück nach Danzig.


Marina Gdańsk  (der Hafen von Danzig)
Foto: eki
Regen, das also war der Empfang für uns in Danzig. Das hatte ich mir anders vorgestellt. 
Eine Hochzeitsreise im Regen? 
Niemals! Eine neu aufgebaute Stadt im Sonnenlicht wollte ich erleben. Was hier leuchtete waren die farbenfrohen Regenschirme der Touristen. Unser erster Tag endete bei Pierogi und Wein unter kunstvoll präparierten Wildschweinköpfen. Wir schauten auf die Regentropfen, die unaufhörlich vom Vordach auf die nassen Tische und Bänke draußen auf der Veranda fielen.
Am nächsten Tag brachen wir auf, Richtung Osten und der Wind fegte die letzten Wolken aus dem Blau des Himmels.


Mazury (Masuren)
Foto.eki
Sanfte Hügel wechselten sich ab mit Feldern, auf denen das Korn hoch stand. Feuchte Wiesen, dicht bevölkert von Weißstörchen rechts und links der Straßen. 


Bocian biały na Mazury (Weißstörche in Masuren)
Foto: eki



Bocian biały  (Weißstorch)
Foto:eki
Tagsüber wurde es jetzt heiß, der Himmel so blassblau wie ausgebleichte Jeans, nur hier und da unterbrochen von Wolken, kugelig weiß. Gegen Abend nahte das Wetter. Es kündigte sich an mit dicht gedrängten Wolkenmassen, die sich schnell über das blasse Blau schoben. Eben noch schien die Sonne, jetzt grolle in der Ferne leise der Donner hinter wässrig verblassendem Sonnenlicht. Jeden Abend Regen, der die Luft kühlte. Am Morgen war der Himmel wieder klar mit der gleichen hellen Unendlichkeit wie am Tag zuvor.


Auf dem Weg nach Węgorzewo (Angerburg)
Foto.eki
Die vielen kleinen und größeren Seen vereinten sich zur masurischen Seenplatte. Wegorzewo (Angerburg), die Hälfte der Strecke bis Seesken hatten wir erreicht.
Am Abend wurde es schwierig ein Hotel zu finden. Eine Hotelroute gab es nicht, polnisch sprechen wir beide nicht. Schließlich, ein etwas schief hängendes Schild "Receptia". Es brauchte eine ganze Weile und die hartnäckigen Bemühungen eines hilfreichen Hotelgastes, bis wir hier ein Zimmer bekamen. Ein sozialistischer Honigmond leuchtete über einem Zimmer mit zwei Etagenbetten und einer kleinen Ablagefläche für die Koffer. Das konnte ja lustig werden. Die kleine Marina entschädigte uns für die spartanische Unterkunft. Auf gemütlichen Holzbänken unter einem schützenden Vordach genossen wir den Blick über den Yachthafen. Ein herrlicher Blick über Segelboote, die schon fest vertäut hier lagen und über die der Nachzügler, die nach und nach im Hafen anlegten. Da war das Geräusch der Taue, wenn sie gegen den Rumpf der Schiffe schlugen, der hell metallische klingende Schlag, der von den Seilen der Fahnenmasten am Ufer bis zu uns herüber klang. Wir hielten uns fest an den Händen, als die Sonne rotgolden hinter einem dunklen Streifen am Horizont im See versank.


Marina Węgorzewo  (Yachthafen von Angerburg)
Foto:eki
Weiter, immer weiter Richtung Osten führte die Straße, Sessken unser Ziel. 
Wir fuhren unter den Blätterdächern der alten Alleen entlang. Im Abendlicht erstrahlten sie wie verzaubert, als hielten sie das Licht der Sonne in ihrem Grün noch ein wenig fest, bevor die Nacht kam. 


Mazury (Alte Allee in Masuren)
Foto: eki
Diese kleinwellige Landschaft blieb für einige Tage unser Zuhause. Immer wieder Wälder, kleine Seen, viel Landwirtschaft und wir, mit dem Glück unserer Hochzeitsreise im Gepäck. 


Krajobraz na Mazury (Landschaft in Masuren)
Foto: eki
Dann waren wir fast da, angekommen in Goldap, der Kreisstadt, an der östlichen Grenze Europas. Von hier aus wären es nur noch 60 km bis nach Kaliningrad.


Wieża Ciśnień w Gołdapi (der Wasserturm von Goldap)
Foto: eki


Przejście graniczne w Gołdapi w Polsce
(EU-Außengrenze; Grenzübergang bei Goldap in Polen)
Foto: eki
Südlich von Goldap führte uns der Weg nach Seesken, einem kleinem Ort, ein paar Gehöfte, nicht einmal ein Rathaus. 


Szeszki (Seesken)
Foto: eki 
Wir suchten den Friedhof, auf dem meine Urgroßeltern begraben liegen müssen. 
Was würden wir finden, von dem einstigen Friedhof?
Was an die Urgroßeltern, verstorben vor 1900, noch erinnern?
Eine alte Landkarte, angefertigt vor 1930, sollte uns leiten. Der Seesker Berg, ein Skigebiet, war leicht zu erkennen. 


Szeska Gora (Hinweisschild zum Seesker Berg)
Foto: eki
Im Ort selbst, am Fuße des Seesker Berges, endete die Fahrt. Wir wussten nicht mehr weiter, konnten das Gesuchte nicht finden. Wir fuhren einfach auf einen der kleinen Bauernhöfe und hatten Glück. Jemand der englisch sprach war für uns da und er und seine Familie begleiteten uns. Mit ihrer Hilfe war der Weg einfach zu finden.


Cmentarz Szeszki  (Reste des Friedhofs von Seesken)
Foto: eki
War der Ur-Großvater diesen Weg gegangen?
Lagen hier seine Eltern begraben?
Die Kirche lies sich nicht mehr finden. Ihre Trümmer lagen oben am Wald, begraben unter Bäumen, die seit fast siebzig Jahren hier wuchsen.
Hier also hatten sie gelebt, der Großvater, seine Eltern, die Vorfahren meiner Familie. Als Tagelöhner auf den Höfen hatten sie gearbeitet. 
Einen See, Fischer, das alles konnten wir nicht finden. Vielleicht war das nur eine Geschichte unter vielen.


Na Mazury (in Masuren)
Foto: eki
Wir beide waren auf einer Reise in die Vergangenheit unterwegs gewesen. Und gleichzeitig auf dem Weg in eine neue gemeinsame Zukunft. 

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