Donnerstag, 31. Dezember 2015

31. Dezember 2015 Ein letzter Tag

Der letzte Tag im Jahr 2015.

Ein letzter Tag unter vielen letzten Tagen. Ein Tag der etwas zu Ende bringt. Der letzte Tag im Urlaub, ein letzter Tag auf der Arbeit, ein letzter Tag zu Hause. Und dann?
Morgen wird ein neuer, ein erster Tag sein. Ein viel versprechender Tag, ein Beginn. Kein Tag kehrt wieder, nicht ein Letzter und auch der erste Tag nicht, niemals. Deshalb ist mir jeder Tag wichtig.

Ich schaue auf den Kalender für das kommende Jahr, auf sein erstes Blatt. Ich sehe ein blau-graues Farbfoto. Schnee liegt auf den Dächern, über den kahlen Ästen der Bäume. Der Dom, mit seiner alles überragenden Kirchturmspitze in der Mitte des Bildes, teilt es in zwei eisgraue Hälften. Da ist sie, die Stadt in der mein Vater zu Hause war. Ein neuer Januar wird ab Morgen beginnen.

Viele Sylvester habe ich erlebt. Zu Hause mit Freunden, auf Partys, privat oder ich bin ausgegangen, mal hier, mal da. Einmal war ich an diesem letzten Tag des Jahres in Berlin unterwegs zu einer Freundin. Wir wollten uns dort bei ihr treffen, um anschließend in einem Brauhaus zu feiern. Die Karten hatten wir uns lange vor diesem Tag besorgt. Ich fuhr mit der U-Bahn, der besten Verbindung zu meiner Freundin. Mehringdamm stieg ich um, in die andere Linie. Da war schon allerlei Partyvolk mit mir unterwegs. Die einen, ein bißchen festlich angezogen wir ich und alle hatte wir Tüten und Taschen dabei, gefüllt mit allerlei köstlichem Essen, mit Feuerwerk, Raketen und Luftschlangen, mit Sekt und süßem Naschwerk. Der Bahnsteig war angefüllt mit lachen. Man rief sich ein:
" Frohes Neues Jahr", zu und ein
"Prost."
Man war einander fremd und doch wieder nicht. Menschen begrüßten sich fröhlich. Von irgendwo erklang Discomusik, die zum Tanzen aufforderte. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Meine Bahn, fuhr ein. Die Türen öffneten sich, noch mehr Partyvolk stieg aus, die Türen schlossen sich wieder. Eine vollbesetzte Bahn fuhr ohne mich aus dem Bahnhof. Ich ließ mich auf eine der Bänke fallen, zu den dort Wartenden, die mit mir vielleicht den Zug nehmen würden, der als nächstes kommen würde. Es war nicht die erste an diesem Abend geöffnete Flache Sekt, die mir mein Banknachbar reichte. Der erste Schluck fühlte sich kalt auf meiner Zunge an und prickelte. Beinah hätte ich die nächste Bahn verpaßt.

Ein anderes mal war ich eingeladen, den letzten Abend im alten Jahr mit Freunden und Bekannten zu feiern. Eine unbekannte Gegend, eine nie zuvor betretene Wohnung waren mein Ziel. Ich klingelte, stieg die vier Treppen nach bis nach oben. Es war seltsam still im Haus. Ich wollte schon umkehren, um mich von draußen zu vergewissern, ob oben in der Wohnung Licht sei und ich willkommen, als die Tür sich öffnete und ich bekannte Stimmen hörte. Zögernd trat ich ein. Tatsächlich, meine Freunde waren schon angekommen. In der Wohnung war es so still wie im Hausflur, keine Musik, gedämpftes Gelächter aus der Küche. Ich stellte meinen mitgebrachten Salat mit zu dem kleinen Buffett, das auf dem Küchentisch aufgebaut war. Dann saßen wir im Wohnzimmer auf dem Sofa, auf den Stühlen aus der Küche, nur im lila-rosa Ohrensessel hatte niemand Platz genommen.
"Laßt uns doch den Fernseher anmachen."
"Nein!"
"Wo ist denn das Radio?"
"Nicht anfassen!"
Eine gute Bekannte meiner Freundin hatte zur Sylvesterfeier hierher eingeladen. Was wir alle nicht wußten, sie hütete diese Wohnung für Freunde, die über den Jahreswechsel in die Karibik geflogen waren. Nichts von all dem, was uns umgab, gehörte ihr. Alles hier war ihr genauso fremd wie uns und sie traute sich nicht, all die Dinge in dieser Wohnung zu benutzen wie ihre eigenen. Ein seltsames Sylvester.
Wir nahmen unsere mitgebrachten Speisen und Getränke mit auf die Straße, suchten uns im Park ein Plätzchen zum feiern. Sie blieb allein zurück, ängstlich in dieser Nacht, es könne sich ein Böller in diese durch sie so wohlbehütete Wohnung verirren.

In diesem Jahr werden wir zur Burg hochgehen, kurz bevor die Uhr die zwölfte Stunde schlägt. Man wird sich treffen, wird Raketen über die Mauer zischen lassen, das Feuerwerk unten im Dorf bis zur Burg hochsteigen sehen und bunte Sterne werden alles hell erleuchten.

Foto: eki
Die Radierung habe ich nach einem meiner Fotos angefertigt. Die Säule mit dem Engel steht im Garten von Schloss Charlottenburg in Berlin.

Was ich mir für das kommende 2016 wünsche?
Gesundheit, das ich die Menschen, die mir lieb sind, ein Stück auf ihrem Weg beleiten kann, neue ferne Länder besuchen und das ich mir alles Gute bewahren kann.

Montag, 28. Dezember 2015

28. Dezember 2015 Familienforschung

Meine Großcousine und ich wir sind sehr glücklich darüber, dass wir wieder eine Familie sind. Vor dem Jahr 2012 wusste ich noch nichts von ihrer Existenz, nichts von ihren zwei Brüdern.

Bekannt war mir, dass Opas Brüder und eine seiner Schwestern um das Jahr 1900 herum in die USA ausgewandert waren. Vier der 16 Millionen Menschen, die über Ellis Island bis 1954 in die USA emigrierten, waren meine Verwandten. Dort befinden sich heute noch Unterlagen über ihre Einreise. Auch im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven finden sich Unterlagen über ihre Auswanderung.

www.ellisisland.org
http://dah-bremerhaven.de/

In meiner Herkunftsfamilie gab es die vielen Briefe, die Pakete zu den Feiertagen, von Onkel Erich, einem der ausgewanderten Brüder meines Opas und seiner Frau, Tante Anni aus Suracuse, New York, die Fotos der beiden. Ich erinnere mich an eines, auf dem die beiden zu sehen sind unter einem großen Weihnachtsbaum, bunt geschmückt. Zu ihrem Onkel hielt Mutter den Kontakt bis zu seinem Tod in den 70er Jahren. Sie hatte ihn als Kind auf einer seiner Europareisen kennengelernt. Er kannte uns von Fotos, so wie wir Kinder und mein Vater ihn von Fotos kannten. Ich hatte nur eine vage Vermutung davon, dass es da in Amerika noch mehr Familienmitglieder geben musste. Über sie sprach meine Mutter kaum. Es gibt Fotos auf denen Onkel Erich und Tante Anni mit Janines Tante Anne B. zu sehen ist. Ich hatte keine Ahnung davon, dass es sich bei ihr um Verwandte von mir handelte. Diese ganzen Zusammenhänge erschlossen sich mir erst in laufe meiner intensiven Familienforschung.

Jetzt kenne ich sie alle mit Namen, kenne Bilder von Ihnen, weiß ein klein wenig über ihre Lebensgeschichte. Und ich habe Janine und Ed und Douglas kennengelernt, meine wunderbare Familie in Übersee. Janines Oma Charlotte, Tante Lotti, und mein Opa waren ja Geschwister.
Natürlich haben wir Janine und ihre Familie besucht, nachdem ich den Kontakt zu ihr über "ancestry.de" aufgenommen hatte.
Ich sehe uns noch mit dem Mietwagen die kleine Straße herunterfahren, in der ihr Haus steht. Es war ein sonniger Tag im September. Hinter uns lagen die Berge, wir waren in der ruhigen Siedlung an dem kleinen Fluss angekommen und suchten die richtige Hausnummer.
"Das muss es sein", dachte ich.
Als ersten sehen wir Ed. Er stand vor der offenen Garagentür, vor seinem Motorrad. Wir stiegen aus dem Wagen. Dann ging das Gartentor aus und Janine kam auf uns zu. Diesem Moment werde ich nie vergessen.
Die Weihnachtskarte, die sie uns im ersten Jahr unseres Kennenlernens schickte, auf der sie und Ed zu sehen sind, steht immer auf meinem Schreibtisch. Ich weiß, dass wir uns Wiedersehen werden.

Samstag, 26. Dezember 2015

26. Dezember 2015

Immer noch Weihnachten. Ich vermisse den Schnee, der eigentlich um diese Jahreszeit die Landschaft winterlich einkleiden soll.

Am Donnerstag besuchten wir eine Vorstellung in Frankfurt im Tigerpalast.
http://www.tigerpalast.de/

Natürlich gab es vorher für uns ein Essen im dazugehörenden 2 Sterne Restaurant. Wir machen das immer so: Wer Geburtstag hat, der lädt den anderen ein. Das ist in jedem Jahr eines unserer Geburtstagshighlight. Also Tigerpalast, mit Geschenk. Wir hatte verabredet, daß wir ein Wichtelgeschenk dabei haben. Nun bin ich im Besitz einer Wichtel Fallstasche. Das ist eine kleine zusammenfaltbare Tasche, die man dabei haben sollte, falls beim Einkaufen noch eine Tasche benötigt wird. Sehr praktisch das Ganze.

Das wichtigste Geschenk an Weihnachten ist immer der bunte Teller.

Foto: eki
Am späten Abend gab es die Weihnachtsgeschenke. Alles war hübsch aufgebaut und wir haben Schere, Stein, Papier gespielt, um die Reihenfolge auszuknobeln, wer von uns mit Päckchen auspacken dran ist. Ich hab das Spiel ziemlich oft gewonnen und sah als erste die schöne Bescherung.

Und dann war da noch das begehrte Paket meiner Großcousine Janine aus Californien. Ihre Großmutter und mein Großvater waren Geschwister. Mein Großvater Martin hatte noch sechs Geschwister. Seine Schwester Charlotte und drei seiner Brüder wanderten um 1900 in die USA aus.

Als Kind wußte ich von Großvaters Bruder Erich, zu dem meine Mutter Briefkontakt hielt. Aus Amerika trafen die geheimnisvollen, fremd und gleichzeitig unwiderstehlich duftenden Pakete meiner frühen Kindheit ein. Da kamen Süßigkeiten zum Vorschein, wunderbare Bilderbücher, die dreidimensionale Landschaften und Häuser entstehen ließen, klappte man die einzelnen Seite auf. Eines Tages lag, in zartes Seidenpapier eingeschlagen, ein hellblaues Kleid in einem der Pakete. Dieses Kleid wurde das begehrteste Kleidungsstück meiner Kindheit.

Janine und ich, wir kennen uns seit dem Jahr 2012. Wir richteten, unabhängig von einander, einen Familienstamm auf einer Pattform im Internet zur Ahnenforschung ein.
www.ancestry.de

Über diese Ahnenforschungsseite bekamen wir beide unseren Kontakt. Als ich die Seite mit meinen Einträgen bei "Ancestry" freischaltete, bekam ich sofort die Möglichkeit mich bei ihr zu melden.
 "I still cannot believe it, am I dreaming?"
Das war, was sie schreib und das war, was ich fühlte.
Vor zwei Jahren haben wir sie, ihre Familie, ihren Bruder und Freunde von ihr in Californien besucht. Jetzt bringt der Postbote wieder Pakete aus Amerika, wie in meiner Kinderzeit.

Über das Kleid gibt es eine Kurzgeschichte von mir:

Das Kleid
Innerhalb der letzten halben Stunde ist das Licht gekommen. Hinter leichten Nebelschwaden kriecht es über den Dächern der Häuser hervor, um durch die Fenster zu sickern. Milchig weißes Licht, das in ihr Zimmer dringt. Es breitet sich schwerfällig aus, bis in die Ecken. Draußen ist es jetzt heller, als im Zimmer.
Sie sieht hinaus. Raureif auf der Grasfläche im Park. Sieht eine Taube, die an ihrem Fenster vorbeifliegt. Ein goldener Lichtfleck, wie von einem Leuchtturm, eine Markierung auf der Kirchturmspitze.
Das rote Kleid hängt an der Tür ihres Kleiderschrankes. Das wird sie heute Abend tragen. Das Kleid aus New York. Roter Samt, zu einer Corsage gearbeitet. Mit Spaghettiträgern über den Schultern, endet es kurz im weiten Rock über dem Knie. Vorn laufen schwarz gekreuzte Seidenbänder bis zur Hüfte hinunter, um in kleinen Schleifen zu enden.
Sie läßt es über ihren nackten Körper gleiten. Spürt die glatte Innenfläche des Samtes weich auf ihrer Haut. Sie dreht sich vor dem Spiegel in der Diele, in dem sie ganz zu sehen ist. Läßt den Stoff geschmeidig um die Hüften gleiten. Die Schultern nach hinten gedrückt, das Kinn leicht angehoben. Ein Bein vor das andere gestellt, den linken Arm leicht angewinkelt. Sie beobachtet sich selbst, probiert den Sitz des Kleides aus. Hinter den eingeätzten Palmen auf der Spiegeloberfläche erkennt sie sich. Dreht sich schneller und schneller. Die matt schimmernden Pflanzen im Spiegel bewegen sich mit, bis Rot in helles Blau übergeht.

Ein weiter, weißer Batistkragen flog um ihren Hals, als sie sich drehte. Auf zartem Untergrund waren kleine Blütenreigen aufgestickt. Vorsichtig fuhr ihr Finger darüber. Schloß sie die Augen, fühlte sie die einzelnen Blüten, die Blätter und Ranken, die die Verbindung zwischen dem Blumendekor bildeten noch deutlicher. Sie beugte sich nach vorn, wirbelte auf dem Absatz herum, dem Rock so viel Schwung verleihend, daß er um ihre Beine flog. Hellblau und Weiß, das waren seit kurzem ihre Lieblingsfarben.
"Zieh das Kleid aus, du machst es nur noch schmutzig! Das sollst du morgen anziehen und es soll sauber sein."
Mutters Stimme riß sie aus den Gedanken.
Sie öffnet die Augen. Das rote Kleid schmiegt leicht sich an, läßt ihren schlanken Körper erkennen. Heute Abend, alle werden sie darin sehen und sie wird sich schön fühlen und erotisch.
Vorsichtig schlüpfte sie wieder heraus. Nahm den Bügel, den die Mutter auf das Bett gelegt hatte und hängte das Kleid darüber. Sie fühlte den Baumwollstoff, zart und leicht, wie die Wolken am Himmel. Preßte ihn gegen ihr Gesicht. Atmete den Geruch des Stoffes. Ein Kleid von solch heller, blauer Farbe, wie ihn der Morgenhimmel im Sommer haben konnte. Morgen durfte sie es zum ersten Mal tragen.
"Wenn es warm genug ist", hatte die Mutter gesagt.
"Dann darfst du es anziehen."
Es würde warm genug sein für das blaue Kleid und für die weißen Kniestrümpfe, die sie dazu tragen wollte. Dann würde sie die Prinzessin sein aus einem Märchenbuch. Sie würde nicht rennen an diesem Tag, nur gehen. Nicht hastig sein wie der Wirbelwind, sondern geduldig und wohlerzogen. Alle Blicke würden sich auf sie richten, wenn sie ins Zimmer kam. Das Kleid sie umgeben wie ein kostbarer Besitz. Sie würde wohlgefällig nicken und die ihr dargebrachten Huldigungen ruhig entgegen nehmen. Die ausgestreckten Hände ergreifen und alle um sie herum willkommen heißen.

Der Nebel ist jetzt hochgezogen. Die Kirchturmspitze hebt sich dunkel gegen den Himmel ab. Läßt ihren goldenen Punkt an seiner höchsten Spitze strahlen. Sie hängt das Kleid zurück an den Kleiderschrank. Bis heute Abend ist noch ein wenig Zeit. Sie zieht den Mantel über, beeilt sich auf dem Weg ins Büro. Bis Mittag hat sie den größten Teil ihrer Arbeit geschafft. So bleibt noch ein bißchen Zeit zum Träumen. Von Wolkenkratzern, vom Central-Park und den Straßen in Greenwich Village. Das Kleid spielt darin heute die Hauptrolle. Sie hat es eingekauft an einem Sonntag, dem Letzten, den sie in New York verbringt, dann ist ihr Urlaub zu Ende. Anfangs zögert sie, es zu kaufen. Ist es nicht zu gewagt? Jetzt muß sie über sich lachen, an ihrem Schreibtisch, zum Fenster hinaussehend und sich zurück erinnernd, wie sie in der engen Kabine steht und das Kleid überprobiert. Sie hat nicht die Absicht, es zu kaufen. Hat es zum Spaß anprobiert. Will sehen, ob sie sich darin gefällt. Ein Kleid von solch auffälliger Farbe und Machart ist sie nicht gewohnt zu tragen. Der Leichtsinn des Augenblicks kitzelt sie in der Seele.
Das soll sie sein? Niemals!
"Na klar nimmst du es", die Stimmen der Freundinnen geben den Ausschlag.
Viele Wochen war es her, daß der Briefträger ein Paket brachte. Suracuse, New York, stand auf dem Absender. Gleich unter dem braunen Kartondeckel lag es. Geschmeidig glitt es beim Herausnehmen über das rosa Seidenpapier. Ein Kleid mit weit schwingendem Rock, einem Gürtel, um es in der Taille festzuhalten und diesem wunderbaren Kragen. Kurze Ärmel mit weißen Aufschlägen aus dem gleichen durchsichtigen Material. Ein kleiner Reißverschluß an der Seite um bequem hineinschlüpfen zu können.
Sie war früh aufgestanden und leise ins Wohnzimmer geschlichen, während die anderen noch schliefen und es im Haus ganz still war. Eine Blaumeise flog auf das Dach des Vogelhäuschens. Der Vater brachte es so in den Ästen der niedrigen Birken an, daß sie es vom  Fenster aus sehen konnte. Sie schaute der Blaumeise zu, das neue Kleid zur Probe über das Nachthemd gezogen. Noch war es zu früh, um damit auf die Straße gehen zu können. Sie setzte sich auf den Kinderstuhl unter das Fenster und wartete, daß die Stunden vergingen.
Zu Hause angekommen geht sie als erstes unter die Dusche.
'Den Tag abspülen', wie sie es nennt.
Rot, zu ihren roten Haaren. Sie lacht leise, steckt das Haar mit einem Kämmchen fest, macht sich zurecht.
Sie ruft sich ein Taxi, läuft die Treppe hinunter und steigt in den wartenden Wagen. Die Stadt hat jetzt die Lichter eingeschaltet. Ein leichter Wind treibt feinen Nieselregen gegen die Windschutzscheibe. Auf dem feuchten Asphalt glänzen die Lichter vervielfacht. Das Zischen der Räder klingt wie das Geräusch auf einer Rutschbahn.

Sie stand ganz oben auf der Leiter. Von hier aus sah sie über den Spielplatz. Am Ende der Rutsche stand die Mutter. Sie rief ihr zu, sie solle auf das neue Kleid acht geben. Sie solle jetzt rutschen. Vorsichtig hob sie den Rock in die Höhe, damit sie nicht auf dem empfindlichen Stoff saß. Sie stieß sich von der Kante ab und sauste mit einem Geräusch in die Tiefe, das ihr noch lange in den Ohren klang. Sie spürte, wie sie etwas am Rock festhielt, das sich in einem Riß verbreiterte und hinter ihr her sauste. Es wurde länger und länger und endete erst, als die Mutter sie auffing, mit einem letzten Ruck am Rock.
Sie spürte warme Arme, die sie umfingen, eine Hand, die die ihre hielt.

"Bleiben Sie ruhig liegen, wir sind gleich da."
Sie blickt in Richtung der Stimme. Irgendwo heult die Sirene eines Krankenwagens. Ihr Blick sucht in diesem Raum nach Anhaltspunkten. Sie sieht Fenster an den weißen Seitenwänden, schaut auf den Boden. Ein roter Samtfetzen rutscht in der Kurve, unter der Bahre auf der sie liegt hindurch, auf die andere Seite hinüber.


Donnerstag, 24. Dezember 2015

24. Dezember 2015 Weihnachten ist Geburtstag

Herzlichen Glückwunsch allen die heute Geburtstag haben!

Am Hl. Abend Geburtstag zu haben ist eine echte Herausforderung. Für das "Geburtstagskind" und für alle Familienmitglieder, alle Freunde und Bekannte.
Wir hatten heute morgen schon das erste Geburtstagsfiasko. Als "Torte" hatte ich für meinen Mann ein Praliné in Form eines Cup Cakes mit einem roten Herz obendrauf besorgt. Dazu eine Wunderkerze in Form eines Herzens. Leider gelang es mir nicht, sie zum Strahlen zu bringen. Als Ersatz nahm ich eine von den Sternelspritzern aus der Verpackung für Sylvester. Ist ja schließlich ebenso dafür gedacht, den Beginn eines Neuen Jahres zu feiern. So konnte  die Geschenkeübergabe gerettet werden.
Gerade klingelte der Päckchenbote bei uns und brachte das lang ersehnte, heiß begehrte Päckchen aus Amerika.

Als ich das Internet Radio in unserer Küche einschaltete, den Sender 1210 Sunny, spielten sie "Sitting on the dock of the bay" leider von Otis Redding gesungen. Ich höre es lieber gesungen von Cher.
CD: 3614 Jackson Highway.
Vielleicht ist "1210 Sunny" nicht unbedingt der Favorit für blutjunge Menschen, aber wir sind nicht mehr so ganz taufrisch und deshalb.....

Mein skurilstes Weihnachtslied "Grandma got run over by a reindeer" von Dr. Elmo wäre auch schön gewesen. Ich hab halt die CD, mit gleichlautendem Namen eingelegt....klang fast genau so gut.
www.click2music.com/sp).

Mein Wunsch: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen


Dienstag, 22. Dezember 2015

22. Dezember 2015


Heute ist der 22. Dezember und ich habe alle Geschenke. Vor allem die Geburtstagsgeschenke sind mir wichtig, denn ich bin mit einem Christkind verheiratet. Da ist es wichtig, eine strenge Trennung von Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken vorzunehmen. Die zum Geburtstag kaufe ich schon im Sommer. So ist keine Verwechselung möglich. Die Cousine meines Mannes ist ebenfalls an diesem Tag geboren. Ich bin wohl von Christkindern umzingelt!
Das Weihnachten Geburtstag ist, kenne ich nämlich schon aus meinen Kindertagen, hatte ich doch eine Tante, die auch ein Christkind war. Jedes Jahr am Vormittag des Hl. Abend besuchten wir die jüngste Schwester meiner Mutter. Tante Käthe nahm sich Zeit für uns und wir für sie. Es gab Kaffee und Kuchen und sie spielte immer etwas auf dem Klavier. Die halb aufgebaute Krippe unter dem Weihnachtsbaum im Wohnzimmer mußte auf ihre Vollendung warten. Ihr Geburtstag hatte Vorrang.
Wie machen das eigentlich die Anderen, die auch Hl. Abend Geburtstag haben, frage ich mich jedes Jahr.
Noch ein Tipp für eine allerletztes Geschenk?
flow, das kreativ Magazin. www.flow-magazin.de
Übrigens das beste Heft dieser Art, das ich jemals in den Händen hatte. also, mich hat es restlos begeistert.

In meinem blog ist noch eine Kurzgeschichte von mir zu lesen "Weihnachten ist Geburtstag", in Erinnerung an meine Tante Käthe.

Weihnachten ist Geburtstag


Weihnachten wird Geburtstag sein. Der von Jesus. Und früher feierten wir immer den von Tante Agnes. Tante Agnes ist tot. Jesus auch. Den Geburtstag von Jesus werden wir immer feiern. Den von Tante Agnes nicht, schade eigentlich.

Meine Mutter und Sophia spielen in jedem Jahr zu Angnes‘s und Jesus's 
Geburtstag vierhändig auf dem Klavier. Ich finde, daß sie in diesem Jahr besonders schön spielen. Ich versuche, den Schluck Kakao solange im Mund zu behalten, bis der letzte Akkord verklungen ist. Wie in jedem Jahr sitze ich unter der ungeschmückten Fichte. Die ist im Christbaumständer festgeschraubt. Sie riecht nach Wald. Hier ist meine Höhle. Von hier aus kann ich den Gesprächen lauschen.

"Das ist ein Jammer, das mit Bernhard. Ich sehe ihn noch da in der Tür stehen. Wie der Zither spielen konnte! Die Zeit, die kann man eben nicht zurückdrehen“, das ist meine Mutter, die das sagt.
Über die Musik hinweg höre ich deutlich ihre Stimme.

Draußen fällt Schnee. Die Flocken wirbeln am Fenster vorbei. Sie setzen sich weiß und kalt und keck auf die kahlen Äste der Obstbäume. Hier Drinnen ist es warm. Neben der Tür steht das Klavier, auf dem vier Hände die Tasten zum Klingen bringen.
Alles Gute zum Geburtstag.

"Von Bernhard habe ich Zither spielen gelernt", unterbricht Mutter das Klavierspiel erneut.
"Ach, wie konnte der herrlich spielen. Jetzt, wo er nicht mehr da ist, habe ich es aufgeben müssen."
Ich sehe auf gerötete Wangen, in erhitzte Gesichter. Die drei heben die Gläser mit dem Punsch, den Tante Sophia so gut wie keine zubereiten kann.
Wir freu‘n uns, daß du geboren bist und hast Geburtstag heut.

Ich zupfe die goldenen Fransen des Seidenkissens, auf dem ich sitze, zurecht. Ich streiche sie ringsherum glatt, kämme sie anschließend mit den Fingern, bis sie schnurgerade ausgerichtet auf dem Teppich liegen. Ich weiß, was jetzt  kommt.

"Der Arthur, der besaß ein Boot. Bei dem lernte Bernhard segeln," erinnert sich Tante Agnes.
"Na ihr wißt schon, Arthur Rosenbaum, der Freund von Bernhard, der später die Farm in Argentinien kaufte. Als Bernhard richtig segeln konnte, nahmen die beiden mich oft mit. Ich kochte für die Männer. Irgendwas aus unserer Speisekammer. Heimlich mitgenommen. Die anderen Gläser rückten wir einfach etwas auseinander. Oder wir schwindelten, im Keller sei wieder eines von den Bohnengläsern hochgegangen. Das merkte keiner. Mit Bernhard wollte ich um die ganze Welt segeln. Er besaß den Segelschein und ich beinah auch. Wenn nur der Krieg nicht gekommen wär. Hinterher war alles kaputt."

Ich kämme Wellenbewegung in die Fransen. Das Weltmeer kommt und geht an den Teppichstrand.
"Welch herzensguter Mensch war Bernhard, wie kein Zweiter."
Jetzt wird der Seegang stürmischer. Goldene Seidenwogen rollen in lang ausholenden Bewegungen an den roten Teppichstrand. Über mir, auf einem niedrigen Tisch, strahlt der Stall von Bethlehem in Gips und Holz. Das Jesuskind in der Krippe streckt seine Arme aus. Die grünen Augen von Maria richten sich voller Gnade auf den nackten Knaben. Ihr Mund ist zu einem roten, wohlwollenden Lächeln aufgemalt. Ich breite mein Taschentuch aus. Ein kleines, weißes Segel im rot-dunklen Meer. Ich nehme das weiße Segel und setze das Kind darauf im Meer aus. Die Wellen tragen es weit fort, bis unter die Anrichte. Hier schwimmt es im ruhigen Wasser einer fernen Welt, weitab von Weihnachten, dem Tannenbaum der Tanten, dem Geburtstag und der Erinnerung an Onkel Bernhard.
"Der Bernhard, der hatte es nie einfach. Aber lachen konnte der, wie kein anderer."
Gleich wird Tante Sophia die Geschichte mit dem Laden erzählen und die drei werden anfangen zu weinen. Das ist immer so an Weihnachten.

"Der Vater schimpfte oft auf ihn, er solle lieber Geld verdienen, anstatt herumzusitzen und Zither zu spielen.
'Bernhard,' sagte ich zu ihm,
'warum gehst du nicht weg. Kannst jederzeit woanders Arbeit kriegen.'
'Wo soll ich denn hingehen Sophia“? fragte er dann.
'Soll ich euch etwa im Stich lassen? Meine drei hier im Haus bei dem Alten. Ich hätte ja keine ruhige Minute mehr“.

Aber erst der Krieg, dann seine Plackerei in der Fabrik und schließlich gar keine Arbeit. Das mit dem Unfall  war kein Zufall. Sagt man nicht oft, wenn der Mensch nicht mehr will? Hätten wir beide den Laden aufgemacht, alles wäre anders gekommen. Wir hatten ja das Geld nicht, damals. Und dann war es zu spät."

Die hölzernen Schafe gefallen mir am Krippenspiel am besten. Ich hebe sie vorsichtig, eins nach dem anderen, aus dem Stroh, setze sie auf einen der flachen Holzkeile, die für den Weihnachtsbaum bestimmt sind. Jetzt schwimmen sie auf der Arche Noah über die Sintflut hinweg. So kann ich sie vor dem Ertrinken retten.

Mutter tupft sich die Tränen ab. Sie klappt den Klavierdeckel herunter. Die schwarzen und weißen Tasten schweigen. Der Punsch ist getrunken. Die Gläser stehen ineinander gestapelt auf der Anrichte. Tante Sophia legt die Notenhefte auf das Klavier. Ich stelle die geretteten Schafe in das Stroh um die Krippe herum. Jesus bleibt unter der Anrichte zurück.
Auch im nächsten Jahr wird Weihnachten wieder Geburtstag sein.

mehr Kurzgeschichten unter: www.gegebil.blogspot.com