Dort wurden wir von Leuten aus dem Kibbuz Ashdot Ya'acov Ichud, unserem Ziel, abgeholt. Für mich war es die erste "große" Reise. Ein Flug über die Grenzen Europas hinaus, in einem Jumbo 747. Im innerdeutschen Flugverkehr war ich unterwegs gewesen, in den kleinen Fliegern, manchmal mit Propeller, die waren mir vertraut. Aber das hier, das war schon etwas anderes. Ein Flugzeug, das nicht in der Luft wackelte, das wie an einem Seil gezogen ruhig durch die Luft flog.
Angefangen hatte alles in einem kleinen Reisebüro in Berlin-Dahlem. Sie boten diese Reise in ihrem Programm an: Vier Wochen Aufenthalt in einem Kibbuz in Israel. Wir, die Volunteers, arbeiteten in allen Bereichen mit, in denen Hilfskräfte gebraucht wurden. Dafür konnten wir im Kibbuz frei wohnen, essen und ein Taschengeld gab's obendrauf.
Links:
Ashdot Ya'acov Ichud-hebräische Seite
wikipedia
In Ashdot Ya'acov Ichud unweit der jordanisch- syrischen Grenze angekommen, wurden wir von Chaim Jacobsen, einem Kibbuzmitglied der ersten Stunde, begrüßt. Er war unser Ansprechpartner während unseres Aufenthalts. Da standen wir nun, die jungen Deutschen, eine zusammengewürfelte Gruppe Unbekannter aus allen Bundesländern. Wir, die mit Neugier und Scheu, mit dem Wissen um die Deutsche Vergangenheit im Gepäck, etwas zur Annäherung zweier Völker beitragen wollten. Im Vordergrund stand für uns erst einmal die Begegnung mit den Kibbuzniks, mit den Sabras und mit uns, die wir uns ja noch gar nicht kannten und erst noch zu einer Gruppe werden sollten.
Ich teilte mein Zimmer mit zwei Frauen, deren Namen ich vergessen habe, aber ihre Gesichter sehe ich noch vor mir. Für die beiden war der Aufenthalt schnell zu Ende, die Trennung von zu Haus, vor allem die von ihren Freunden, machte ihnen den Aufenthalt schwer. Zwei Gleichgesinnte waren sie, das wurde ihnen und mir schnell klar. Endlose Gespräche, die immer wieder ein tränenreiches Ende fanden, bestimmten die Abende im Zimmer. Der Schmerz und ihre Tränen, die weder die Zeit im Kibbuz noch ich trockenen konnten, lies die beiden vorzeitig abreisen.
Der Arbeitsplan war für alle jederzeit im Speisesaal einzusehen.
Speisesaal im Kibbuz Ashdot Ya'acov Ichud
Foto: eki
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Mein Tag begann früh, in Ashdot. Um 5 Uhr klingelte der Wecker, oder es klopfte an die Tür, die Nachbarinnen waren schon wach. Jedes Haus hatte unten Toiletten und Duschen. Danach hieß es, schnell in die Kleider, lange Hose, langärmelige Bluse und mein Kopftuch, um mich vor der Sonne und den Stacheln am Pampelmusenbaum zu schützen, waren meine Arbeitskleidung. Draußen wartete schon ein Traktor mit Anhänger, auf dessen Ladefläche wir kletterten. Es war kalt da oben auf dem Hänger, so früh am Morgen, auch wenn die Sonne gerade aufgegangen war. Wir hockten uns dicht zusammen. Gut festhalten hieß es, der Weg zum Feld war holprig. Dann bekam ich "meinen Baum" zugeteilt, eine Eimer und ein Maß, einen Ring aus dickem Draht an einer Schnur, die ich mir ums Handgelenk wickelte. Passte die Pampelmuse durch den Ring blieb sie am Baum, sollte noch ein bisschen wachsen. Nur die großen wurden gepflückt, im knall orangefarbenen Eimer gesammelt. Eine Leiter stand für mich bereit, ich kletterte in den Baum und streckte die Hand nach der ersten reifen Frucht aus.
Pampelmusen pflücken
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Den Eimer voll reifer Früchte nahm mir der junge Mann, die uns täglich auf's Feld begleiteten, ab. Er hatte vom ersten Tag an die Herzen aller Mädels erobert. Sein verschmitztes Lachen, das amüsierte Blitzen in seinen Augen, hatte es uns allen angetan. Er muss Anfang zwanzig gewesen sein, damals. Ein freundlicher, stets gut gelaunter Mann mit den schönsten schwarzen Locken der Welt. Wir lernten unser erstes hebräisches Wort für: "Eimer voll".
Dann kam er, tauschte den vollen gegen einen leeren Eimer aus und stapelte die Pampelmusen in Kisten, fertig zum weiteren Transport.
Der Krieg zu der Zeit des höchsten jüdischen Feiertages, der Jom Kippur Krieg vom 6. Oktober 1973, begann sieben Tage, nachdem wir Israel und den Kibbuz wieder verlassen hatten.
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Artikel bei Zeit Online
Ich habe den Kibbuz später noch öfter besucht, einmal noch dort gearbeitet. Chaim Jacobsen unser Betreuen und Rachel Beck, die Kibbuzsekretärin waren da wieder meine Ansprechpartner.
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Interview mit Rachel Beck
Der junger Mann, unser Begleiter auf der Pampelmusenplantage lebte noch im Kibbuz. Gezeichnet vom Krieg. Er, der als Soldat für sein Land gekämpft hatte, erholte sie nie wieder von seiner schweren Kopfverletzung. Ein schwerst Behinderter, kaum noch der Sprache mächtig, ohne jegliche Perspektive auf ein halbwegs normales Leben, so traf ich ihn wieder. Das Entsetzen über sein Schicksal ist bis heute in mir. Da habe ich das erste Mal wirklich begriffen, was Krieg bedeutet.
In den Wochen im Kibbuz wurden wir zu einer, wenn auch sehr heterogenen, Gruppe geworden. Wir feierten immer Samstag Abend im Bunker kleine Partys. Starteten nach dem täglichen gemeinsamen Mittagessen im Speisesaal, hier wo sich alle Erwachsenen des Kibbuz zum Essen trafen, zu Ausflügen in die Umgebung. Tiberias war ein beliebtes Ziel. Bis Jericho war es schon ein weiter Weg. Dafür musste man sich die Zeit gut einteilen, um bis zum Abend, bevor die Straße zur Nacht für den Verkehr gesperrt wurde, wieder zurück zu sein. Und einmal im toten Meer baden war eines der ganz besonderen Ereignisse.
Wir lebten im Kibbuz zusammen, teilten ein Stück des Alltags, lachten miteinander und feierten gemeinsam den Sabbat.
Abends waren wir oft zu Hause eingeladen, bei Chaim, bei Towa oder Rachel. Sie wohnten in kleinen Häusern mit schmalen Gärten davor. Mal ein Granatapfelbaum oder ein Rosenstrauch vor dem Fenster. Im Kibbuz stolzierten Pfauen über den Rasen oder sie flogen in die Schlafbäume. Manch einer von ihnen war ab und zu für ein paar Tage verschwunden, aufgebrochen über die Grenze nach Jordanien.
Eines frühen morgens wachte ich davon auf, das ich in meinem Bett hin und her geschüttelt wurde, während eine Glocke laut schrillte. So abrupt aus dem Schlaf geholt sprang ich auf und lief auf den Balkon hinaus. Es war nichts zu sehen, nichts zu hören. Hatte ich alles nur geträumt? Auch die anderen waren wach geworden. Ein Erdbeben war die Ursache. Es hatte die Schulglocke ertönen lassen und in der Bibliothek die Regale umgestürzt. Mehr Schaden entstand zum Glück nicht.
Wir pflückten Pampelmusen, halfen bei der Olivenernte, entfernten Plastikreste von den kleinen, gelben Flaschen, die wir später, zurück in Deutschland mit Zitronensaft gefüllt in den Regalen eines großen Lebensmittelhändlers, kaufen konnten.
Wir lernten einen Volkstanz und ein hebräisches Lied, das ich aber leider vergessen habe.
Die dort geschlossenen Freundschaften sind bis heute geblieben.
Wir gewöhnten uns an die Präsents von Soldaten, die immer und überall im Stadtbild zu sehen waren, auch im Kibbuz, wo sie immer Streifen gingen und an Autofahrer, die uns beim trampen mitnahmen und ihr Maschinengewehr neben dem Sitz verstauten. Wir gewöhnten uns an eine für uns fremde Welt. Hatten Chaims Ermahnung im Ohr, bei Alarm ruhig zu bleiben und den nächsten Bunker aufzusuchen, was wir nie machen mussten. Und nie, niemals werde ich irgendwo, auf welcher Straße oder welchem Platz auf der Welt auch immer, gegen einen Gegenstand und sei es nur eine vermeintlich leere Tüte treten.
Und dann war sie da, Jerusalem die Schöne. Zum Abschluss der Reise verbrachten wir ein paar Tage in der Stadt, erlagen ihrem Zauber.
Nächstes Jahr in Jerusalem!
Links:
Volunteers in Israel- heute
in englischer Sprache
Geschichte von Ashdot Ya'acov
Freiwilligendienst_Israel_DIG_JUFO.pdf
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